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VISTA POINT … Reisen Tag für Tag

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– und wie Sie damit umgehen können:

Lesen und Kennenlernen

Einleitung, Bemerkungen über die Reise in der Praxis und eine Landeschronik zur Einstimmung. Die durchgehend farbige Bebilderung macht Appetit auf den Urlaub.

Karten

In der vorderen Umschlagklappe finden Sie eine Übersichtskarte des Reisegebietes mit den eingezeichneten Routenvorschlägen und am Anfang jeder Etappe jeweils eine Detailkarte mit der Tagesroute und/oder einen Stadtplan.

Routenbeschreibungen

Für jeden Routenabschnitt gibt es neben der Detailkarte ein Streckenprotokoll mit allen nötigen Angaben: Wie lange benötige ich von A nach B, was erwartet mich unterwegs, welche Alternativrouten, Abstecher und Abkürzungen gibt es?

Die begleitenden Reportagen zu jeder Etappe sind Reiseberichte nach dem Prinzip des wandernden Blickpunkts – mal eine Geschichte, ein Hinweis auf Vorgänge hinter den Kulissen, ein anderes Mal Einsichten in Naturwunder, Land und Leute.

Informationen

Im Anschluss an die Routenbeschreibung finden Sie – auf blauem oder gelbem Papier gedruckt – Informationen über Sehenswürdigkeiten, Hotels, Restaurants, Nightlife, Feste und Einkaufsmöglichkeiten.

Service von A bis Z

Alles, was man bei der Reisevorbereitung und unterwegs wissen muss: An- und Einreise, Auskunft – vorab und auf der Reise –, Autofahren, Einkaufen, Feiertage, Geld, Maße und Gewichte, Kleidung, Notfälle, Öffentliche Verkehrsmittel, Reisezeit, Restaurants, Telefonieren, Unterkunft, Zoll usw.

Extratage

Einige zusätzliche Touren sind als Extratage ausgearbeitet, die die vorgeschlagene Hauptroute erweitern.

Register

Für die erste oder letzte Hilfe oder wo finde ich’s im Buch: alle Orte, Sehenswürdigkeiten, Berge, Flüsse und Namen.

Reisen Tag für Tag … der rote Faden für unterwegs

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Namibia

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Für Ulrike

1bEine Übersichtskarte von Namibia mit der
eingezeich neten Reiseroute finden Sie in
der vorderen Umschlagklappe.

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Inhalt
4a Unterwegs im jungen Staat Namibia
Land der Weite und allmählich schwindender
Zäune
Begegnung mit deutscher Kolonialgeschichte
Die Völker Namibias
Chronik: Abriss der Geschichte Namibias
REISEROUTE DURCH NAMIBIA
1_red Namibischer Schmelztiegel mit einem Schuss
Deutsch:
Windhoek
4b 2_red Der Geschmack von Weite
Von Windhoek nach Keetmanshoop
e_yel Extratage: Ein Schlenker durchs rote Auf und Ab
Von Windhoek durch die Ausläufer der Kalahari
Die Nama
Nomadische Viehzüchter aus dem Süden
3_red Ein Tag in der Halbwüste – alles dreht sich ums
Wasser!
Von Keetmanshoop durch den Fish River
Canyon nach Ai-Ais
e_yel Extratage: Namibische Grenzerfahrung
Von Keetmanshoop an den Oranje
4_red Aus heißem Talkessel zu kühler Höhe
Von Ai-Ais über Rosh Pinah nach Aus
4c 5_red Von wilden Pferden und Klunkern im Wüstensand
Von Aus über Kolmanskop nach Lüderitz
6_red Fern in einer anderen Zeit: Lüderitzbucht
7_red Zwischen Pinguinen und Webervögeln
Vom Atlantik ins NamibRand-Gebiet
8_red Träume im Sand: Schloss Duwisib und ins Herz der Namib
8_red Im schönsten Sandkasten der Welt
Die Dünen der Namib
e_yel Extratage: Auf den Spuren von seltenen Zebras
und verwegenen Kämpfern:
Im Naukluft-Park
4d 10_red Namib – die vielgestaltige Leere
Durch die zentrale Namib nach Swakopmund
11_red Deutsch – deutscher … Swakopmund
12_red Entfernte Verwandte: Rund um Swakopmund
Ab durch die Mitte: Von Swakopmund zurück nach
Windhoek – fünf Alternativrouten zum Abschluss
einer 14-tägigen Rundreise
13_red Ein Blick ins verlorene Paradies
Von Swakopmund zum Cape Cross und weiter
in den Skeleton Coast National Park
14_red Dem kulturellen Erbe auf der Spur
Zum Brandberg und nach Twyfelfontein
15_red Steinerne Raritäten: Von den Steingravuren in
Twyfelfontein zum Verbrannten Berg, den steinernen
Orgelpfeifen und zum Versteinerten Wald
e_yel Extratag 1: Im Revier der Wüstenelefanten
Von Twyfelfontein ins Damaraland Camp
e_yel Extratage 2: Jenseits in Afrika
Kaokoveld für Einsteiger
e_yel Extratage 3: Jenseits in Afrika
Kaokoveld mit allem Drum und Dran
16_red Von trockenen Rivieren zum »Ort des trockenen
Wassers«:
Etosha
17_red Von einem Fuß auf den anderen hüpfend
Im Etosha National Park
18_red Die Herero: Bantu-Volk aus dem Norden
Vielerlei Facetten: Von der Begegnung
mit den San zur Begegnung mit dem All
e_yel Extratage: Ins andere Namibia
Region Sambesi
19_red Zum Ort heilenden Erinnerns
Von Grootfontein zum Waterberg Plateau Park
20_red Zum guten Schluss: Zurück nach Windhoek
Service von A bis Z
Orts- und Sachregister
Namenregister
Bildnachweis und Impressum
Zeichenerklärung … hintere innere Umschlagklappe

Unterwegs im jungen Staat Namibia

2010 feierte der namibische Staat den Jahrestag seines 20-jährigen Bestehens. Die Feierlichkeiten aus Anlass seiner Gründung im Jahr 1990 dürfte indes nur noch jeder Dritte der heutigen Namibier bewusst miterlebt haben. Für alle unter 25-Jährigen und damit für etwa zwei Drittel der heutigen Staatsbürger ist Selbstverständlichkeit, was am 21. März des Jahres im Stadion der Hauptstadt Windhoek mit dem Hissen der Flagge Namibias seine feierliche Bestätigung fand: die Existenz eines selbstständigen und stabilen demokratischen Staatswesens. Allenfalls aus dem Schulunterricht oder den Erzählungen der Älteren werden sie wissen, dass diese Staatsgründung das Ende eines langen und mühevollen Weges markierte.

An seinem Anfang standen die mehr oder minder willkürlich vorgenommenen Grenzziehungen durch die Kolonialmächte am Ende des 19. Jahrhunderts. Das Deutsche Reich, erst spät in den Wettstreit um Kolonien eingetreten, sicherte sich, was übrig war: das wenig attraktiv erscheinende und dünn besiedelte Gebiet zwischen den Flüssen Kunene im Norden und Oranje im Süden, der Halbwüste Kalahari im Osten und dem Atlantik im Westen. Deutsch-Südwestafrika nannte man die Kolonie, die man etwa zur gleichen Zeit wie Deutsch-Ostafrika, das heutige Tansania, in Besitz nahm. Um eine später geplante Verbindung zwischen beiden Besitzungen herstellen zu können, handelte der deutsche Reichskanzler Leo von Caprivi 1890 den Engländern im Helgoland-Sansibar-Vertrag einen zusätzlichen Landstreifen im Nordosten des heutigen Namibia ab: den wie ein Appendix herausragenden Caprivi-Streifen, der inzwischen in »Sambesi-Region« umbenannt wurde. Ethnische Zusammengehörigkeit oder geologische Gegebenheiten spielten dabei (wie bei allen kolonialen Grenzziehungen) nicht die geringste Rolle. Man nahm nach offiziellem Sprachgebrauch »Niemandsland« in Besitz und hatte einzig im Sinn, das erworbene Gebiet gegen die Einflussbereiche der Kolonialmächte jenseits der Grenzen (Portugal mit Angola im Norden, England mit Botswana im Osten, Holland bzw. England mit Südafrika im Süden) abzustecken.

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»Reconciliation«, Versöhnung, heißt das Zauberwort Namibias (Windhoek)

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Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Weiße und Schwarze

Nachdem die Weite des »wüsten« Landes damit erstmals geradlinig eingegrenzt war, fand man gerade eben Zeit genug zum Aufbau einer einheitlichen Verwaltung und einer Infrastruktur, wie sie zur Exploration der inzwischen gefundenen Bodenschätze notwendig war. Der Erste Weltkrieg und die Bestimmungen des Versailler Vertrages von 1919 setzten der deutschen Kolonialherrschaft ein Ende. Das Mandat für das ehemalige deutsche »Schutzgebiet« wurde vom Völkerbund an Südafrika übertragen und »Südwest« ging als fünfte Provinz in der RSA (Republic of South Africa) auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg griff die UNO als Rechtsnachfolger des Völkerbundes in die Geschicke des Landes ein. Langjähriges Gerangel um den Fortbestand des südafrikanischen Mandates, da »nicht zum Wohle der dort Lebenden« ausgeübt, mündete 1966/1967 in der wiederholten Aufforderung an Südafrika, namibisches Territorium zu verlassen, und in dem UNO-Beschluss, Namibia sukzessiv zur Unabhängigkeit zu führen. Je beharrlicher sich Südafrika weigerte, dem internationalen Druck nachzugeben, desto stärker formierte sich die Befeiungsbewegung im Land selbst. 1960 war die South West Africa People’s Organisation (SWAPO) unter Führung Sam Nujomas gegründet worden und deren bewaffneter Arm (PLAN) People’s Liberation Army of Namibia lieferte sich 1966 erste Gefechte mit südafrikanischen Truppen. Dies war der Auftakt eines erbitterten Guerillakampfes, der ausdrücklich von der UNO legitimiert wurde. Geführt wurde dieser Kampf weitgehend vom benachbarten Angola aus, das durch den Zusammenbruch der portugiesischen Kolonialherrschaft und den anschließenden Bürgerkrieg zusehends ins Chaos stürzte, geschürt von südafrikanischen Truppen auf der einen und kubanischen Söldnern auf der anderen Seite.

Die UNO setzte indes die eingeschlagene politische Richtung fort und forderte in Resolutionen aus den Jahren 1976 und 1978 freie Wahlen für Namibia. Doch weder die 1978 durchgeführten Wahlen noch die daraus erwachsene Interimsregierung wurden von ihr anerkannt. Die SWAPO als stärkste politische Kraft Namibias, der bei der UNO inzwischen Beobachterstatus zuerkannt worden war, hatte nicht daran teilgenommen. Sie hatte sich dagegen verwahrt, dass alle Beschlüsse der zu wählenden Regierung dem Vetorecht des südafrikanischen Generaladministrators unterliegen sollten und somit die angebliche Unabhängigkeit eine Farce darstellte. Dass es in den Jahren dieser Interimsregierung (1978–83) dennoch gelang, die südafrikanischen Apartheid-Gesetze für Namibia aufzuheben, war immerhin ein wichtiger Schritt in eine eigenständige Zukunft. Aber erst das Ende des internationalen Ost-West-Konflikts gegen Ende der 1980er Jahre ebnete Namibias Weg in die Unabhängigkeit. Die Kubaner zogen sich aus Angola zurück, was Südafrika seinerseits einen Rückzug ohne Gesichtsverlust aus dem »Mandatsgebiet« erleichterte. Die SWAPO, bislang weitgehend sozialistisch orientiert, schwenkte auf einen Kurs der Versöhnung ein. Keine Rede mehr von Enteignungen oder Neuverteilung des Besitzes. »One Namibia, one nation« lautete jetzt die Parole.

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Herero-Braut – zwischen Tradition und Moderne

Im Dezember 1988 wurde mit der Zustimmung der südafrikanischen Republik die Unabhängigkeit Namibias beschlossen. Nicht einmal ein Jahr später, im November 1989, fand unter Aufsicht der UNO die Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung statt, aus der die SWAPO als stärkste Partei mit absoluter Mehrheit hervorging. Im März 1990 wurde Sam Nujoma zum ersten Präsidenten Namibias gewählt. Die Republik Namibia, ein unabhängiger, demokratischer Staat, in dessen Verfassung die grundlegenden Menschenrechte verankert wurden, war geboren. Reconciliation, Versöhnung aller widerstreitenden Kräfte, wurde zum Zauberwort des Neubeginns. Die namibische Nationalfahne konnte aufgezogen und die Nationalhymne von den im Lande vereinten mehr als zehn Ethnien in der offiziellen Landessprache Englisch gemeinsam angestimmt werden: »Namibia our Country!«.

Viele Reisende wird die lange Geschichte der Staatswerdung Namibias indes nur insofern interessieren, als das Ergebnis ihre Sicherheit bei einem Besuch des Landes berührt. Doch so schwierig sich vor allem in wirtschaftlichen Fragen die Situation auch darstellt, eines lässt sich mit Bestimmtheit sagen: Die Namibier tun bislang alles, um ihre Konflikte und Probleme auf parlamentarisch-demokratischem Weg zu lösen. Bei der Frage einer möglichen Umverteilung von Farmland einigte man sich zunächst auf den Grundsatz »williger Verkäufer – williger Käufer«. Das bedeutet, dass Farmen, die der Besitzer nicht bewirtschaften will oder kann, vom Staat aufgekauft und Umsiedlern zur Verfügung gestellt werden. Da sich aber gezeigt hat, dass es Letzteren oft an Fachwissen und Kapital fehlt, um sinnvoll zu wirtschaften, hat eine kritischere Auseinandersetzung mit diesem Verfahren eingesetzt. Die im Land lebenden Weißen werden aus wirtschaftlichen Gründen gebraucht, was auch den politischen Machthabern bewusst ist.

Darüber werden die Schwarzen keineswegs vernachlässigt. Jeder Reisende kann, zumal wenn er über mehrere Jahre hin die Situation beobachtet, feststellen, dass die Zahl junger, gut ausgebildeter Schwarzer im letzten Jahrzehnt erkennbar gestiegen ist. Selbstbewusst und offen treten sie den Besuchern entgegen und erweisen sich ein ums andere Mal als gut informierte, ambitionierte und last but not least humorvolle Gesprächspartner. Man kann sich sehr wohl vorstellen, dass diese Namibier zu gegebener Zeit die Geschicke ihres Landes kraftvoll in die Hände nehmen werden. Genau so, wie sie ihr eigenes Leben bereits jetzt beherzt zu gestalten verstehen.

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Frauen spielen eine wichtige Rolle im modernen Namibia

Die Erreichung und Erhaltung wirtschaftlicher Stabilität ist und bleibt indes die zentrale politische Problemstellung. Dabei hilft es wenig, wenn positive Wirtschaftsdaten vorgelegt werden können, die Zahl der Menschen ohne Arbeit aber ständig steigt. So führte die statistische Berechnung mittlerer pro-Kopf-Einkommen dazu, dass Namibia als eines der reichsten Länder südlich der Sahara eingestuft wurde. Tatsächlich werden die Probleme aber deutlich anhand der folgenden Aufstellung: Fünf Prozent der Bevölkerung verdienen etwa 70 Prozent des verfügbaren nationalen Einkommens, während die ärmsten 55 Prozent nur ca. drei Prozent verdienen. Wer zu diesen 55 Prozent gehört, lebt in absoluter Armut. Die Arbeitslosenquote wird auf etwa 40 Prozent beziffert. An einigen Orten (z.B. in Windhoek, wo Arbeitssuchende aus allen Landesteilen zusammenkommen) soll sie sogar bei über 50 Prozent liegen.

»Born to suffer«, hatte eine junge Frau, der wir auf der Reise begegneten, auf ihren Donkeykarren geschrieben. Der Karren stand mitten in Uis, wo die Minen inzwischen gänzlich geschlossen wurden und es keine Arbeit mehr gibt. Sie versuchte ein paar Dollar zu verdienen, indem sie sich auf ihrem Karren fotografieren ließ. Solche Begegnungen sind für den Reisenden ebenso erschreckend wie berührend.

Beunruhigend wird oft das Ansteigen der Kriminalitätsrate, speziell der Eigentumsdelikte empfunden – zumal von Menschen, die noch keine Erfahrung mit Reisen in Entwicklungsländern haben. Wissen sollte man auf jeden Fall, dass inzwischen nicht mehr allein die städtischen Zentren von kriminellen Übergriffen betroffen sind, sondern zunehmend auch ländliche Regionen. Deshalb ist es umso wichtiger, sich mit Sensibilität und unter Einhaltung klarer Regeln der Situation zu stellen. Den unverdienten Vorzug, aus einem reichen Land zu kommen, muss man nicht unbedingt vor sich hertragen. So gehört die Zurschaustellung von Pretiosen und Wertgegenständen schlichtweg nicht in ein Drittweltland. Foto- und Filmausrüstungen sowie Wertgegenstände aller Art sichtbar im Auto zu hinterlassen stellt eine schwer zumutbare Versuchung dar, die sich außerdem leicht vermeiden lässt. Zur eigenen Sicherheit sollte man wann immer möglich Wertgegenstände im Hotelsafe deponieren. Gleiches gilt für den Reisepass – bei sich tragen sollte man ausschließlich eine Kopie inklusive der Seite mit dem namibischen Einreisestempel. Bei der Benutzung von Taxen ist darauf zu achten, dass der Fahrer sich allein im Wagen befindet und ein ordnungsgemäßer Zähler vorhanden ist. Weitere Sicherheitshinweise findet man (regelmäßig aktualisiert) auf der Homepage des Auswärtigen Amtes (www.auswaertiges-amt.de).

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Das gängige Verkehrsmittel der Nama – ein Donkey-Karren

Unterwegs in der Weite des Landes, auf der pad, wie Straßen in Namibia allgemein genannt werden, stellen sich dem Reisenden selten Probleme der oben beschriebenen Art. Da gilt vor allem die Regel, sich durch nichts und niemanden auf einsamen Straßen zum Halten nötigen zu lassen und im Zweifelsfall lieber umzukehren und die Polizei zu alarmieren. Darüber hinaus sollte man bei Dunkelheit auf keinen Fall fahren – auch wegen möglicher Übergriffe, vor allem aber wegen der Gefahr der Kollision mit wilden Tieren. Der reibungslose Ablauf der Reise hängt in erster Linie von einer guten Planung und einem den Bedingungen des Landes angemessenen Verhalten ab. Auch die Beachtung der folgenden Regel wird empfohlen: Leichtsinn in jeder Form ist gefährlich, Wachsamkeit dagegen nicht nur nützlich, sondern lebensnotwendig.

Das Straßennetz ist sehr gut ausgebaut und in ordentlichem Zustand. Das gilt nicht nur für die Teerstraßen, die als Hauptschlagadern das Land durchziehen, sondern auch für die sehr viel häufigeren Schotterpisten. Sie werden regelmäßig gewartet – was längerfristige Aussagen über den Zustand bestimmter Straßenabschnitte unmöglich macht. Sich vor jeder Reiseetappe über den aktuellen Stand zu informieren, ist immer empfehlenswert. Besonders während der Regenzeit ist es unabdingbar, möglichst zwei Tage im Voraus Auskünfte über die geplante Route einzuholen. »Abkommende« Flüsse können Straßen für Tage unpassierbar machen und zu Umwegen zwingen. Mit tieferem Sand, der das Fahrverhalten des Wagens verändert, oder Steinen muss immer gerechnet werden. Diesen Hindernissen kann man oft mühelos ausweichen, denn Gegenverkehr ist eher die Ausnahme. Dagegen ist es die Regel, dass man über Stunden kaum einem anderen Verkehrsteilnehmer begegnet. Hat man sich erst einmal an diese Verhältnisse wie an das Fahren auf der linken Straßenseite gewöhnt, wird man jede noch so holprige pad bald den »aalglatten«, schnurgeradeaus führenden und deshalb ermüdend langweiligen Teerstraßen vorziehen.

Eine Reifenpanne ist aber nie auszuschließen. Deshalb sollte man für den Fall der Fälle in der Lage sein, einen Reifenwechsel vorzunehmen. Also: Das Reserverad bei der Übernahme des Mietwagens kontrollieren und für den Notfall ein zweites mitnehmen! Genauso wichtig ist es, zeitig aufzutanken. Die nächste Tankstelle kann mehr als hundert Kilometer entfernt liegen – und vielleicht im Augenblick keinen Diesel oder kein Benzin verfügbar haben. Deshalb sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit der Tank aufgefüllt werden. Auch ein Reservekanister ist unter diesen Umständen kein unnötiger Ballast, ebenso wie ausreichende Wasservorräte – für die Wageninsassen. Die Reise führt nun mal durch Wüstenlandschaften und aride Zonen. Die Verdunstungsrate liegt hoch und damit auch der Flüssigkeitsbedarf.

Mit diesem Minimum an Überlebensnotwendigem ausgerüstet, kann man sich getrost auf die Reise machen. Basis dieses Führers ist eine klassische Rundreise von etwa 5000 Kilometern, die in drei Wochen zu den bekanntesten Highlights Namibias führt. Sie ist so angelegt, dass die Rundreise-Strecken, auch die eingefügten Alternativstrecken, ohne vierradgetriebenes Fahrzeug, also mit normalem Pkw zu bewältigen sind. Dennoch kann es nicht schaden, einen vierradgetriebenen Wagen anzumieten, da man so den eigenen Aktionsradius vergrößert und sich in nicht vorhersehbaren Grenzsituationen sicherer fühlen kann. In der Routenbeschreibung geht es zunächst Richtung Süden zum Fish River Canyon, am Oranje entlang und zur Küste nach Lüderitzbucht, durch und entlang der Namib wieder nach Norden über Swakopmund, von dort durchs Damaraland bis zum Etosha National Park, von wo die Fahrt zurück nach Windhoek führt. Natürlich lässt sich diese Route auch in umgekehrter Richtung fahren, wofür u. a. die möglicherweise günstigeren Lichtverhältnisse bei der Reise durchs landschaftlich höchst reizvolle NamibRand-Gebiet sprechen.

Für Reisende mit weniger Zeit lässt sich die Tour problemlos zu zwei alternativen 14-tägigen Routen umfunktionieren. Dann bleibt nur die Entscheidung, ob man dem landschaftlich reizvolleren Süden oder dem tierreicheren Norden den Vorzug gibt. Für die Südroute folgt man der Tour bis Swakopmund und fährt von dort über Karibib, Okahandja und dann über die B1 nach Windhoek zurück (vgl. Extratage »Ab durch die Mitte«, S. 171 ff.). Fällt die Entscheidung für die Nordroute, rollt man die Tour von hinten auf, um ebenfalls von Swakopmund wieder nach Windhoek zu fahren.

Wen es reizt, das Land jenseits der »klassischen« Rundroute zu entdecken, mag unter den zusätzlich eingefügten Extratagen Alternativen für sich aussuchen. So werden beispielsweise für den zweiten Tag neben der Strecke Windhoek–Keetmanshoop zwei Routen durch die Randgebiete der Kalahari vorgestellt, für die aber jeweils zwei Reisetage angesetzt werden müssen. Dafür sollte man sich entscheiden, wenn man andernorts Strecken ausspart oder in Windhoek, weil man es von früheren Reisen kennt, nur kurz verweilt. Einige der Extratage sind nur als geführte Touren möglich bzw. zu empfehlen, wie die Flugsafari in den Skelettküstenpark oder die Fahrt ins Kaokoveld. Man kann zu beiden Touren in Windhoek starten, was von den Veranstaltern meist so angeboten wird, kann sich aber gegebenenfalls der Flugsafari auch in Swakopmund und der Kaokoveld-Tour in Etosha zugesellen.

In unsere Tourabfolge wurden diese Extratage an den Stellen eingefügt, an denen sich die Beschreibung rein geografisch den in den Zusatzrouten bereisten Gebieten nähert. Für den Abstecher von Grootfontein aus nach Norden in die Sambesi-Region (ehemals Caprivi) genügt ein normaler Pkw. Diese Tour ist jedoch recht zeitaufwendig. Alternativ könnte man mit der Air Namibia von Windhoek nach Katima Mulilo fliegen und da einen Mietwagen nehmen (der natürlich im Vorfeld bestellt werden muss), um die dortigen Naturparks mit ihrem überwältigenden Tierreichtum zu erkunden.

Generell lässt sich sagen: Neben den einmaligen Landschaftsszenerien ist es vor allem der Reichtum seltener Pflanzen und Tiere, der die Anziehungskraft des Landes ausmacht. Köcherbäume, Welwitschia mirabilis, Moringa oder »Geisterbäume«, Nara-Kürbisse und Flechtenarten gehören zu den endemischen Gewächsen, die nur im südwestlichen Afrika gedeihen. Die reiche Vogelwelt (nicht nur) der Küstenregionen und das vielfältige Tierleben der Wüste, Käfer, Kleinreptilien, Schlangen und Antilopen, faszinieren nicht nur Wissenschaftler. Furcht ist auch hier fehl am Platz. Schlangen beispielsweise sind niemals ohne Grund aggressiv. Ihr Angriff ist bloße Verteidigung. Dieser Gefahr kann man begegnen, indem man Acht gibt, wohin man tritt, bzw. festes (möglichst hoch geschlossenes) Schuhwerk trägt.

Selbst die großen Wildtiere, Elefanten, Löwen und andere Großkatzen, denen man zweifellos im Etosha National Park begegnen wird, stellen keine besondere Gefährdung für den Touristen dar – solange er sich angemessen verhält. Wer sich an die im Park geltenden Vorschriften hält, den Wagen nicht verlässt und langsam fährt, lebt unter Afrikas Wildtieren in paradiesischer Sicherheit.

Gefahr droht allenfalls den Tieren und Pflanzen durch die Expansion des Tourismus. Nicht umsonst vereinte der Staat Namibia das Ministerium für »Wildlife and Nature Conservation« und die oberste Tourismusbehörde in einer Hand. Dahinter steht das Bewusstsein, dass die Erhaltung einer intakten Umwelt oberstes Gebot ist. Der größte Schatz des Landes ist das Land selbst.

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Einzelner Köcherbaum in namibischer Weite

Solche Maximen lassen sich leicht formulieren, aber umso schwerer umsetzen. Besonders wenn die Ökologie eines Landes so sensibel ist wie die Namibias. 15 Prozent des namibischen Staatsgebiets bestehen aus purer Wüste. Da ist die Kalahari, die zu den Halbwüsten gezählt wird, nicht mitgerechnet. Ganz zu schweigen von den ausgedehnten Steppen- und Halbwüstenflächen, die sich dem Namib-Streifen entlang der Küste zum Landesinneren hin anschließen. Leben, das von Pflanzen wie das von Tieren, hat sich den harten Umweltbedingungen dieser Regionen angepasst. Aber es reagiert äußerst empfindlich auf den geringsten Eingriff. Reifenspuren im Wüstensand erhalten sich über Jahre und »unscheinbare« Flechten, die in langjährigem Wachstum zum Leben in der Wüste beitragen, werden unwiederbringlich zerstört.

Ein Problem stellt auch die begrenzte Verfügbarkeit von Wasser dar. Die Verdunstungsrate liegt weit höher als die Menge der Niederschläge. Dürrejahre mit Niederschlagsmengen, die unter dem Durchschnitt liegen, drängen die hier lebenden Menschen an den Rand der Existenzmöglichkeiten. Oberflächenwasser ist so gut wie nicht vorhanden, und Brunnenschächte müssen tief in den Boden getrieben werden, um ein Überleben von Mensch und Tier zu garantieren. Achtsamkeit im Umgang mit dem bereisten Land und seinen Ressourcen ist also das höchste Gebot. Aber wer will schon Schaden verursachen in diesem jungen, hoffnungsvollen Staat, diesem uralten Land in all seiner kargen, puristischen Schönheit?

Land der Weite und allmählich schwindender Zäune

Weite – wenn sich denn die Erfahrung Namibias auf ein Stichwort reduzieren lässt, so ist es dieses: von der Weite des rauen, vom kalten Benguela-Strom geprägten Atlantiks vor der 1500 Kilometer langen Küste, über die Weite des Dünenmeeres der Namib, die schier endlose Weite der Kies-Namib, die flimmernde Weite der Etosha-Pfanne, die Weite des Binnenhochlandes mit seinen ungeheuren Savannen- und Halbwüstenflächen zur im sanften Auf und Ab der Dünenkämme da-hindümpelnden Weite der Kalahari. Weite so vielgestaltig, dass man glauben möchte, die Natur hätte das gesamte Spektrum ihrer Variationsmöglichkeiten zu diesem Thema im Südwesten Afrikas durchzuspielen versucht.

Allein die aufgezählte Vielfalt der in Namibia möglichen Erfahrung von »Weite« deutet darauf hin, dass nicht Leere, nicht Öde das Charakteristikum darstellt. Die Räume sind gestaltet, von verblüffendem Farbenreichtum und überwältigender Kargheit gleichermaßen. Namibische Landschaft ist Erde pur: bizarres Gestein, verkrustete, karstige oder sanft im spärlichen Grasbewuchs gelb schimmernde Ebenen oder auch fragile, in ungewöhnlichen Rottönen schimmernde Gebilde aus Sand. »Afrikas Diamant« nennt sich das Land nicht ohne Grund, entsprechen doch seine Härte wie die Klarheit seiner Formen, seine Kargheit wie die in ihr verdichtete Lebenskraft sehr wohl dem aus reinem Kohlenstoff bestehenden Mineral.

Die Landschaft verdankt ihre Gestalt der geologischen Geschichte wie den klimatischen Einflüssen gleichermaßen. Die ältesten Gesteinsformationen entstammen dem Präkambrium und weisen ein Alter von über 500 Millionen Jahren auf. Gneise, Glimmerschiefer und Quarzite, wie sie im Damaraland zwischen Namib-Gürtel und Etosha zu finden sind, gehören dazu. Etwas jünger, aber immerhin noch über 350 Millionen Jahre alt, sind die Nama-Formationen des südlichen Hochlandes: Kalke, Schiefer und Sandsteine als Bestandteile der Großen Randstufe, des Schwartzrandes um Maltahöhe beispielsweise oder auch des Fish River Canyon. In diesen frühen erdgeschichtlichen Zeiten war Afrika noch Teil des ürkontinentes Gondwana, zu dem auch Brasilien, Vorderindien, Australien und die Ost-Antarktis gehörten. Eis bedeckte das Land vom Kap bis zum Kongo und hinterließ Moränen zwischen Mariental und Keetmanshoop. Folgende Warmzeiten brachten Meeresablagerungen ins Land, so den Schiefer des Verbrannten Berges bei Khorixas oder die mächtigen Baumstämme des Versteinerten Waldes in derselben Gegend. Als der Urkontinent auseinanderbrach, geschah dies mit dem entsprechenden »Urknall«. Vulkane taten sich auf und der Brandberg sowie das Erongo-Gebirge entstanden. Die Ruhe nach dem Sturm, die letzten 65 Millionen Jahre, bescherten Afrika Abtragungsprozesse, die die weiten Hochlandflächen und Absenkungsbecken (etwa Etosha) entstehen ließen.

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Straff gespannter Draht parzelliert die scheinbare Unendlichkeit

Erdgeschichte ist freilich kein namibisches Phänomen. Sichtbar, greifbar wurde es hier in besonderem Maße durch das Wirken der Erosion während der letzten Million Jahre. Während dieser erdgeschichtlich kleinen Zeitspanne gruben die Flüsse in feuchten Zeiten ihre Betten tief ins Gestein, formten die markanten Canyons des Landes. In den dazwischen liegenden Trockenzeiten türmten sich die Dünen der Namib und der Kalahari auf und fegte Winderosion die Etosha-Pfanne leer. Der Wechsel von extremer Kälte und Hitze, von Feuchtigkeit und Trockenheit sprengte Gestein, zermürbte weichere Schichten und legte die härteren Formationen bloß. Der »Rohdiamant Namibia« erhielt seinen Schliff. Und er erhielt ihn durch die Natur selbst, nicht durch den Menschen, der in diesem Umfeld ausreichend mit dem bloßen Überlebenskampf beschäftigt war (und ist). So mag es kommen, dass die unterschiedlichen Landschaften auch heute noch eine Form von Urzustand zu spiegeln scheinen.

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Namibias absolutes Highlight: die roten Dünen im Sossusvlei

Überhaupt hat es fast den Eindruck, dass der Mensch in diesem Umfeld im Prinzip nicht vorgesehen ist – und wenn doch, dann als bloße Marginalie. Auf einer Fläche von 824 292 Quadratkilometern (die Bundesrepublik Deutschland misst 356 957 km2) leben denn auch nur rund 2,259 Millionen Menschen (Stand 2012), was ca. zwei Drittel der Berliner Bevölkerung ausmacht. 60 Prozent von diesen 2,259 Millionen Menschen bevölkern den Norden Namibias, der von unserer Hauptreiseroute nur am Rand berührt wird. Weitere 30 Prozent leben in den städtischen Zentren, etwa 323 000 (inoffizielle Quellen sprechen von 400 000) allein in Windhoek. Da kann man sich ausrechnen, wie vielen oder besser wie wenigen Menschen man auf dem Rest der Reise begegnen kann.

An Zeichen ihrer Existenz fehlt es allerdings oft selbst in scheinbar endloser Weite nicht. Häufig findet man die Grenzenlosigkeit durch straff gespannten Draht eingezäunt. Das mag manchmal angesichts der scheinbaren Ödnis des umzäunten Landes befremden, ist aber leicht erklärbar. Jeder Quadratmeter, auf dem noch so geringer Bewuchs Viehhaltung ermöglicht, wird genutzt. Entsprechend der Viehart, die »gekehrt« (eingezäunt) werden soll, und entsprechend der Wildart, die man möglichst außen vor lassen möchte, variiert allenfalls die Beschaffenheit der Zäune.

Doch so viele Zäune man auch in diesem semiariden Land setzen mag, so begrenzt sind dennoch letztendlich die Möglichkeiten landwirtschaftlicher Nutzung. Nur im Norden fällt ausreichend Regen, um den Anbau von Feldfrüchten zu ermöglichen. In allen übrigen Landesteilen erlauben Bodenbeschaffenheit und Niederschlagsmenge nur eine extensive Weidewirtschaft. Für die Tierhaltung ist in diesen Regionen eine für Europäer kaum vorstellbare Farmgröße Voraussetzung. Die Bestockungsraten, Richtwerte, die die für die Erhaltung eines Tieres notwendige Landmenge angeben, schwanken dabei in den einzelnen Landesteilen entsprechend den natürlichen Gegebenheiten. Während in Bethanien im Süden die GVE (Großvieheinheit) bei 40 Hektar für ein Rind oder Pferd liegt, sinkt sie in Otavi im Norden auf acht Hektar pro Rind. Auf der Fläche, die für die Haltung eines Rindes ausreicht, können in der Regel sechs Schafe weiden. Die Folge sind Farmen von der Größe kleiner Bundesländer in Deutschland. 10 000 bis 30 000 Hektar Land sind für Farmen im Süden des Landes die Regel. Und nur solche Größenordnungen erlauben dort eine effektive Bewirtschaftung.

Auch nach der Unabhängigkeit blieben solche Großfarmen weitgehend in »weißem« Besitz. Die von der SWAPO gestellte Regierung zeigte sich unter Verzicht auf die Durchsetzung ihrer sozialistischen Zielvorstellungen bemüht, diese für die Volkswirtschaft wichtigen Betriebe zu erhalten. Immerhin finden in keinem anderen Wirtschaftszweig so viele Menschen Arbeit und große Teile der schwarzen Bevölkerung partizipieren am Wohlergehen der Landwirtschaft. Dagegen erwiesen sich Versuche der Bewirtschaftung von eingezogenen, weil nicht mehr bewirtschafteten Farmen durch Schwarze häufig als nicht erfolgreich.

Eine Möglichkeit, ihre Existenz mit der Bewirtschaftung eigenen Landes zu sichern, besteht für die schwarze Bevölkerung vor allem im Bereich der ehemaligen Homelands. Das Fehlen von Kapital und Know-how, das Festhalten an uneffektiven, traditionellen Bewirtschaftungsformen und die hohe Bevölkerungsdichte in diesen Gebieten erlauben jedoch in den seltensten Fällen, mehr zu produzieren, als für den eigenen Bedarf nötig ist. Doch ob Subsistenzwirtschaft oder nach modernen Erkenntnissen durchgeführte kommerzielle Produktion – die Abhängigkeit von den jährlichen Niederschlägen und das Problem der drohenden Überweidung und infolgedessen der Verbuschung und Verkarstung des Landes betrifft alle, die in Namibia Landwirtschaft betreiben. Sofern sie Überschüsse für den Export produzieren, kommt die Abhängigkeit vom Weltmarkt, von sinkenden Preisen und sich verändernder Nachfrage (wie im Fall der inzwischen unmodernen Karakul- bzw. Persianerfelle) als erschwerendes Moment hinzu. Der Wirtschaftskraft der namibischen Landwirtschaft sind somit enge Grenzen gesetzt.

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Die Rindfleischproduktion ist der wichtigste Bereich der namibischen Landwirtschaft

Für einen Ausgleich und damit für ausreichende Staatseinnahmen könnten die reichen Bodenschätze des Landes sorgen. Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Lithium und Germanium werden abgebaut. Namibia ist der viertgrößte Uranproduzent der Welt. Diamantabbau und Vorkommen von Halbedelsteinen runden für den Laien das Bild eines an Ressourcen reichen Landes ab. In der Tat stammt fast die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes aus dem Bergbausektor. Da der Absatz solcher Produkte bzw. die damit zu erzielenden Gewinne jedoch weitgehend von der Nachfrage auf dem Weltmarkt abhängen, sind die zu erzielenden Einnahmen nicht stabil. Hinzu kommt, dass der hohe Grad der Technisierung im Bergbau die Zahl der hier möglichen Arbeitsplätze begrenzt. So wird mit Diamanten, Uran und Kupfer zwar rund dreizehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet, aber nur drei Prozent aller Arbeitsplätze stehen in diesem Wirtschaftssektor zu Verfügung. Außerdem befinden sich die Bergbauunternehmen Namibias nach wie vor mehrheitlich in südafrikanischem oder internationalem Besitz. Der für das Land lebenswichtige Wirtschaftszweig entzieht sich damit weitgehend seiner Kontrolle.

Einen Ausweg würde der Aus- und Aufbau der weiterverarbeitenden industriellen Produktion bieten. Dazu fehlen jedoch alle Grundlagen. Zum einen fand in der Vergangenheit die Entwicklung landeseigener Industrien keinerlei Förderung durch die Mandatsmacht Südafrika, der nur an einer Nutzung des Landes als Rohstofflieferant und Absatzmarkt gelegen war. Zum anderen ist zur Ansiedlung von Industriebetrieben Kapital vonnöten, das man sich nach der Unabhängigkeit in größerem Umfang von ausländischen Investoren erhoffte. Deren Reaktion blieb aber verhalten, da die Absatzmöglichkeiten auf dem Binnenmarkt begrenzt sind. Fehlende Arbeitsplätze und die Notwendigkeit des Imports von Industrieprodukten sind die Folge.

Derzeit sieht man in der Erschließung bislang nicht genutzter Energievorkommen eine Möglichkeit zur weiteren Konsolidierung des Staatshaushaltes. Die Exploration des Kudu-Gasfeldes (vor der Südküste) in Kooperation mit Südafrika soll die eigene Energieversorgung auch für die Zukunft auf sichere Füße stellen und darüber hinaus Einnahmen aus Energieexporten erwirtschaften. Gesichert ist die Durchführung des Vorhabens jedoch noch nicht.

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Die Erträge der Fischereiwirtschaft Namibias sind stark rückläufig

Ein weiteres wirtschaftliches Standbein aufzubauen wäre umso wichtiger, als die vormals gewinnträchtige Fischereiwirtschaft, in die man zu Zeiten der Staatsgründung große Hoffnungen setzte, in ihren Erträgen stark rückläufig ist. So groß das Fischvorkommen im nährstoffreichen Benguela-Strom vor Namibias Küste auch war, die exzessiven Fangmethoden, mit denen vor allem die Flotten aus Südafrika, Russland, Polen und Spanien zu Werke gegangen sind und es teilweise heute noch tun, haben zu einer spürbaren Reduzierung der Fischbestände geführt. Dies wie die zum Schutz der Bestände international festgelegten Fangquoten führten zu erheblichen Einbrüchen in diesem Wirtschaftssektor und damit verbunden zu einem Rückgang der Arbeitsplätze im Fisch verarbeitenden Gewerbe.

An die zweite Stelle der Einnahmequellen Namibias ist in den letzten Jahren der Tourismus gerückt – direkt hinter den Bergbau. 2006 (neuere Daten sind nicht verfügbar) lagen die Einnahmen aus dem Tourismus bei ca. 16 Prozent des Bruttoin-landproduktes. 70 000 bis 80 000 Arbeitsplätze zählt man bereits in diesem Wirtschaftsbereich, der sich hier so rasant entwickelt wie nur an wenigen anderen Stellen der Erde. Von Interesse für das Land kann die Expansion jedoch nur sein, wenn es gelingt, die im Tourismus getätigten Geschäfte im Land selbst abzuwickeln. Sollten ausländische Investoren den gewinnträchtigen Fremdenverkehrsbereich zunehmend dominieren, hat das zur Folge, dass Reisekosten vorab in den Heimatländern der Reisenden abgerechnet werden. Und damit bliebe der erhoffte und, volkswirtschaftlich betrachtet, unbedingt notwendige Devisensegen aus. Grenzen sind dem beliebigen Anwachsen des Tourismus ohnehin durch die limitierte Belastbarkeit der Umwelt gesetzt. Wo die Unberührtheit der Natur eine der Hauptattraktionen ist, schwindet die Anziehungskraft mit jedem Eingriff in die Landschaft.

Die Einbindung der ländlichen Bevölkerung in den Tourismus ist seit Beginn des Ausbaus der touristischen Strukturen ein absolut überzeugendes Ziel. Die ländlichen Gemeinden sollen – so die Idee – an den Einnahmen aus dem Tourismus beteiligt werden und im Gegenzug das natürliche Umfeld stärker schützen. So sollen nach Möglichkeit die großen Wildtiere, die die Felder zerstören oder das Vieh reißen, nicht mehr gejagt werden, weil sie eine Hauptattraktion für Touristen darstellen. Conservancies wurden in vielen Landesteilen gegründet, die den Schutz der natürlichen Ressourcen überwachen und von den Tourismusunternehmen zu diesem Zweck bereitgestellte Gelder einsetzen – z.B. zum Ausgleich für Schäden, die Wildtiere verursachen. Viele Zäune sind in den letzten Jahren niedergerissen worden, um in der Verfolgung dieser Idee große Ländereien zu schaffen, die als private oder kommunale Wild- und Naturschutzparks dienen sollen.

Touristen werden hier geführt und in angeschlossenen Lodges oder Campingplätzen beherbergt. Mittellose Landbewohner sollen so Beschäftigung und ein Auskommen finden. Doch oft scheitern diese Konstrukte an fehlender Lernbereitschaft, fehlender Schulung, fehlendem Gemeinsinn und manch anderem menschlichen Manko. Solche Begrenzungen mögen schwerer zu beseitigen sein als ein paar Zaunpfähle. Doch die Grundidee der Conservancies ist im Ansatz so überzeugend, dass jede Anstrengung, ihr zum Erfolg zu verhelfen, der Mühe wert scheint.

Einen spürbaren Erfolg haben die Namibier auf einem nicht minder wichtigen und nicht minder schwierigen Feld errungen: Die in Jahrhunderten der Stammesauseinandersetzungen und in Jahrzehnten der rassistisch geprägten Kolonialherrschaft aufgebauten »Zäune« in den Köpfen scheinen im Schwinden begriffen. Gleichgültig ob Ovambo, Himba, Herero, Nama oder San, die Jungen sind sich ihrer Stammestraditionen bewusst, empfinden sie aber nicht als trennend bei der Erreichung gemeinsamer Ziele. Sie arbeiten sehr oft in freundschaftlicher Verbundenheit miteinander. Und was die Weißen im Land betrifft, so erklärt man sie kuzerhand zu einer weiteren Ethnie. Dass solche Äußerungen allerorten in Namibia freudige Zustimmung finden, mag vielleicht noch ein paar weitere Jahre dauern.

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15 Prozent der Fläche Namibias sind Vollwüste. hochsensible Lebensräume seltener Tiere wie der Sandechse

Begegnung mit deutscher Kolonialgeschichte

Die Zeiten, in denen sich Reisende aus Deutschland in Namibia über die vielen Anklänge an die deutsche Sprache und Kultur wunderten und auch freuten, sind inzwischen Vergangenheit. Neue Prachtbauten dominieren vor allem das Bild der Hauptstadt, was fast ein Vierteljahrhundert nach der Staatsgründung absolut angemessen erscheint. Die mehr als hundertjährigen Hinterlassenschaften deutscher Kaiserzeit wirken allenfalls noch wie nette Fußnoten der Geschichte, was sie im Grunde ja sind. Da es sich bei ihnen um ausgesprochen rare Relikte namibischer wie deutscher Vergangenheit handelt, wecken sie aber immer noch das Interesse vieler Reisender.

Als moralische Begründung für die Landnahme auf fernen Kontinenten wurden von den Vertretern des deutschen Kaiserreichs – wie von den um kolonialen Besitz rivalisierenden europäischen Mächten allgemein – die für die »unzivilisierten« Länder zu erwartenden zivilisatorischen Segnungen ins Feld geführt. Nachweislich ging es jedoch ausschließlich um wirtschaftliche Interessen: den Besitz von Rohstoffen und den Zugang zu neuen Absatzmärkten für die heimische Industrie. Die Furcht, ohne Kolonialbesitz die internationale Konkurrenzfähigkeit zu verlieren, wie die Aussicht auf reiche Vorkommen an Mineralien veranlassten Reichskanzler Bismarck und seine Nachfolger, sich ins koloniale Abenteuer zu stürzen.

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Ungezählte Schreiben, ähnlich dem 1880 von Friedrich Fabri, dem Leiter der seit den 1940er Jahren in Südwestafrika tätigen Rheinischen Missionsgesellschaft, werden sie dazu bewogen haben. Das Auswärtige Amt, so schrieb er, »wolle unter thunlichster Beschleunigung den schwer gefährdeten Interessen der deutschen Mission und ihrer Angehörigen wie der deutschen Handelsniederlassungen, ihrer Angestellten und ihres Eigenthums im Hererolande seinen Schutz nachdrücklich gewähren.« Ergänzend dazu sei darauf hingewiesen, dass auch die Interessen der Rheinischen Missiongesellschaft nicht ausschließlich religiöser Art waren: Die Mission trieb einen schwunghaften Handel.

Die Politiker in Berlin ließen sich durch solch nachdrücklich vorgetragene Argumente erweichen. Nachdem man sich versichert hatte, dass man englischen Interessen in Südwest nicht in die Quere kam, wurde die deutsche Flagge gehisst. Dr. Heinrich Göring, Vater des späteren Reichsmarschalls, wurde mit dem Aufbau der Verwaltung betraut, die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika wurde gegründet, und – immerhin war nicht zu übersehen, dass Menschen in diesem neuen deutschen Hoheitsgebiet lebten – den Häuptlingen der verschiedenen Stämme wurden »Schutzverträge« zur Unterschrift vorgelegt.

In den Verträgen war zwar auch von Schutz die Rede, aber vor allem von Landabtretungen, und deshalb hielt sich die Neigung der meisten »Kapitäne«, ihre Unter-schrift darunter zu setzen, in Grenzen. Man kann es auch so sagen: Die Bewohner Südwestafrikas weigerten sich, kolonisiert zu werden. Allein die Tatsache, dass sie untereinander im Krieg lagen, dass vor allem Herero und Nama sich heftige Auseinandersetzungen lieferten, bewog dann doch einige ihrer Führer, den »Schutzvertrag« zu unterzeichnen. Doch mussten sie bald erkennen, dass von Schutz vor dem Gegner nicht die Rede sein konnte. »Vielmehr sind Menschen und Eigentum der Herero nach jenem Bündnis in höherem Maße als früher durch den Krieg vernichtet worden, und keine Hand eines Deutschen hat sich geregt, sie zu schützen«, beklagt sich 1891 der Herero-Kapitän Manasse schriftlich bei Hauptmann von François, dem Nachfolger Görings. Was ganz nebenbei beweist, dass die »Eingeborenen« durchaus nicht beschränkt waren. Sie erkannten sehr wohl, dass der »Schutzvertrag« allenfalls deutsche Interessen schützte.

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Postkarte aus deutscher Kolonialzeit: Es galt, die »Wilden« zu zivilisieren

Diejenigen, die ihn deshalb erst gar nicht unterzeichneten – wie der Nama-Häuptling Hendrik Witbooi –, wurden mit Waffengewalt niedergekämpft. Wo Worte nicht zu überzeugen vermochten, mussten eben Gewehre her. Major Leutwein, der von François in den Bemühungen um die »Befriedung« der Kolonie folgte, wusste selbst dieser Form der »Überredung« noch »humane« Züge abzugewinnen. »Die Eingeborenen sind gegen den Schmerz viel weniger empfindlich als wir und vermögen auch schwere Wunden ohne äußeren Nachteil zu ertragen«, stellte er lakonisch fest und empfahl deshalb den Einsatz von Schrapnellgeschossen.

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Der legendäre Nama-Führer Hendrik Witbooi

Es war aber nicht allein die offen zur Schau gestellte Überheblichkeit der Kolonialherren und die gewaltsame Durchsetzung ihrer Interessen, was zu blutigen Konflikten führte. Mehr noch war es die Sorge um den drohenden Verlust ihrer Weidegründe und ihrer Rinder und damit ihrer Lebensgrundlage, die die Herero 1904 zum Aufstand gegen die deutsche Kolonialmacht veranlasste. Von Leutwein gerufen, kamen immer mehr Siedler ins Land. Waren es 1891 noch 593, wuchs ihre Zahl 1903 bereits auf 4640 an. Sie alle wollten mit Land versorgt sein, Land, das den einheimischen Hirtenvölkern damit als Weidefläche verloren ging; und sie alle wollten Vieh erwerben, in der Regel nicht gegen Geld, sondern gegen Waren, von deren exaktem Gegenwert die Verkäufer oft nicht die geringste Vorstellung besaßen.

Fairerweise muss gesagt werden, dass der umstrittene Häuptling der Herero, Samuel Maherero, an diesem Ausverkauf nicht unbeteiligt war. Er war ein Freund des Branntweins wie aller Konsumgüter, die die Händler feilboten, und seine Schulden erreichten bald astronomische Höhe. Die Gläubiger waren nur durch die Übertragungen von Land und Vieh zeitweise zu beruhigen. Leutwein selbst versuchte mehrfach auf Maherero einzuwirken, seine Lebensweise umzustellen. Er befürchtete Unruhen unter den Herero, was ihm ebenso wenig willkommen war wie eine Absetzung Mahereros, den er als treuen Bundesgenossen gewonnen hatte.

Dass dieser dennoch die Treue brach und zum Aufstand blies, war wohl reine Selbstverteidigung. Anders konnte er sein Gesicht, seine angeknackste Autorität unter seinen Stammesgenossen nicht wahren. Er stand mit dem Rücken zur Wand, und auch die Möglichkeit seines persönlichen Untergangs war ihm sehr wohl bewusst. »Lasst uns lieber zusammen sterben«, schrieb er an seinen Erzfeind Hendrik Witbooi, »und nicht sterben durch Misshandlung, Gefängnis oder auf allerlei andere Weise.« Nicht bewusst war ihm hingegen, dass er mit diesem Aufstand den Untergang seines gesamten Volkes heraufbeschwor.

Wie ihm nicht bewusst sein konnte, dass er mit dieser Erhebung eine neue Gestalt auf den Plan rief, Generalleutnant von Trotha, der mit der Niederschlagung beauftragt wurde und in der Folge der deutschen Kolonialpolitik ein neues, man muss schon sagen, übles Gesicht verlieh.

Der Sieg über die Herero in der Schlacht am Waterberg war an sich noch nichts anderes als die logische Fortführung der begonnenen Eroberungspolitik. Die Einstellung, die von Trotha dazu beflügelte, und die von ihm durchgeführten weiteren Maßnahmen waren jedoch so unerhört, dass sie selbst in »rechten« Kreisen in Berlin nicht unwidersprochen hingenommen wurden. In einem an Leutwein gerichteten Brief hatte er bereits kurz nach seiner Ankunft in Südwest wissen lassen, er »kenne genug Stämme in Afrika. Sie gleichen sich alle in dem Gedankengang, dass sie nur der Gewalt weichen. Diese Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik.« Südwest sollte nach seinem Dafürhalten eine Kolonie werden, in der deutsche Siedler sich mit ihrer eigenen Hände Arbeit, ohne die Hilfe schwarzer Arbeitskräfte eine Existenz aufbauen konnten. Und da es nach seiner Vorstellung der einheimischen Arbeitskräfte nicht bedurfte, erschien es ihm zweckmäßig, dass »die Nation (der Herero) als solche vernichtet werden muss«.

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Der Bahnhof in Swakopmund – seit 1902 erleichterte die Eisenbahn den Transport von der Küste ins Binnenland

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Windhoek um 1912